Aus unserer Verbandszeitschrift

Die sterbende Jagd (1953)

Ein Roman von Gerd Gaiser

Links: Der Buchumschlag aus dem Erscheinungsjahr 1957. Das Buch erschien in mehreren Auflagen

Der Autor: 1908 im schwäbischen Oberriexingen geboren, diente Gaiser ab 1941 bei der Luftwaffe, zuletzt als Oberleutnant und Führer einer Jagdflieger-Staffel. Sein schriftstellerisches Werk erschien hauptsächlich innerhalb eines Jahrzehnts, nämlich zwischen 1949 und 1960, teils in traumhaften Auflagen: sein bekanntestes Werk „Schlußball“ von 1958 wurde rund 300.000 Mal verkauft, seine Erzählungen wurden in Schulbüchern nachgedruckt und lagen Abiturienten als Interpretationsaufgabe vor1. Heute ist Gaiser fast nur noch antiquarisch zu bekommen. Warum? Gaiser hatte zur NS-Zeit noch etwas jenseits des mit der linken Autoren-Gruppe 47 aufkommenden Schwarz/Weiß-Schemas zu sagen: es gab Angriffe des Literaturkritikers Walter Jens gegen Gaiser (der ab 1937 Mitglied der NSDAP war), die ihn zunehmend an den Rand drängten, und schlussendlich brach der allmächtige Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki den Stab über ihn. Eine Hinrichtung in mehreren Etappen. Thorsten Hinz führt in seinem sehr lesenswerten Bändchen „Literatur aus der Schuldkolonie“ (2010) aus, wie Reich-Ranicki Gaiser vernichtete und an seiner statt Heinrich Böll als neuen Stern am bundesdeutschen Literaturhimmel aufbaute: er habe „das seinige getan, um mitzuwirken bei der Schaffung einer anderen Galionsfigur, die, ich will es offen sagen, ohne dem Verstorbenen ein Unrecht anzutun, nur eine Notlösung war. Ich meine Heinrich Böll.“2 Gerd Gaiser gilt es wiederzuentdecken!

Das Buch: „Als Cornils, genannt der Fähnrich, an seinen Rottenflieger durchgab, daß er versuche, zum Platz umzukehren, stand ihm schon die Kabine voll Rauch.“3 So beginnt der Roman, und wir sind gleichsam mittendrin. Etwa März 1945, irgendwo an der Nordsee: wir begleiten eine Alarmrotte der Reichsverteidigung über den Zeitraum einer Woche. Junge Jagdflieger, größtenteils komplett desillusioniert, fliegen Einsatz um Einsatz, einer nach dem anderen kehrt nicht mehr zurück. Beseelt einzig von dem Gedanken, dass es kein zweites „1918“ geben dürfe, und dass es dieses Mal um alles gehe. „Wir müssen genau unseren Auftrag erfüllen. Euer Volk hat euch gehätschelt, ihr seid seine Lieblinge, jetzt müßt ihr das Eurige tun. Auswege gibt es nicht. Ihr fliegt jetzt pro aris et focis (für Altar und Herd), falls einer Latein versteht. Unter euch, das ist das eigene Land. Sollen sie von uns enttäuscht werden?“4

Gerd Gaiser mit seinem Roman "Schlußball" in Amsterdam 1960.

Doch die gegnerische Übermacht wird immer erdrückender, „und auch die größte Tapferkeit kann die Unterlegenheit nicht dauerhaft kompensieren“, wie Hinz in einer Rezension in der Jungen Freiheit schreibt5. Eindringlich eine Szene, in der zwei britische Flugzeuge ein deutsches abschießen, um anschließend, gegen alle Regeln ritterlicher Kriegsführung, ihr „Werk“, „die Ausrottung des Oberfähnrichs von Schwersenz“, mit den Bordwaffen zu vollenden: „gewinnen ist herrlich für den, der gewinnen darf (…). Sie nahmen es nicht persönlich, sie kannten ja auch den Junker von Schwersenz gar nicht. Aber sie waren so unterrichtet, daß er ein Biest sein mußte in seiner Maschine, verächtlich, und, wenn er davonkam, auch ziemlich gefährlich; nun verrichteten sie ihr Werk.“6

gai messerschmidtLinks: Eine Messerschmidt BF 109 G-6 vom Jagdgeschwader 27 im Frühjahr 1944
Und Hinz führt in seiner Rezension weiter aus: „Vermeintlich restaurativen Schriftstellern wie Gaiser wird vorgeworfen, sie hätten über das Dritte Reich nichts zu sagen gewusst.“ Doch ist genau das Gegenteil der Fall: er habe in der „Sterbenden Jagd eine plastische Innenansicht jener Zeit und damit zugleich die Stichworte für ihr Verständnis, ihre Rationalisierung und Historisierung gegeben. Und genau das war der Grund, weshalb er aus dem Gedächtnis der literarischen Republik verschwinden musste, in der Reich-Ranicki als Staatsoberhaupt fungiert!“7
Zwischenzeitlich keimt natürlich noch einmal so etwas wie Hoffnung auf: „die neuen, windschnellen schönen Maschinen, um die sie so lange gekämpft hatten“, erreichen den Schauplatz; doch: „diese Maschinen kamen viel zu spät. Es fehlten schon die Plätze, es fehlte der Treibstoff, es fehlte an Menschen, die diese Maschinen zu warten verstanden. Die fremde Jagd hing am Himmel und lauerte, wo sich Leben zeigte, und die Bombenteppiche pflügten die Rollfelder auf.“8
Hier wird der Impetus deutlich, mit dem die deutschen Jagdflieger in den letzten Kriegswochen den Abwehrkampf führten: „Keine Rede davon, daß sie noch etwas zu wenden vermocht hätten. Aber es war noch einen Augenblick lang die große Jagd. Es war die letzte Staffel, in der sich sammelte, was noch lebte und Rang und Namen hatte, und in der Geschwaderführer und Generale die Rotten füllten. Ein paarmal noch rasten sie Feuer säend durch die Ströme der Bomber und stießen manche vom Himmel, sie waren entschwunden, ehe ein Schütze ins Ziel gegangen war. Einige stürzten ab, einige litten Bruch auf den zerhackten Rollfeldern, den einäugigen Major Stooß trug man halbverbrannt in ein Lazarett. Einige hatten vielleicht nicht die Absicht wieder zu landen.“9
Und dann, das Buch und damit vielleicht die Motive einer ganzen Generation junger Männer, einer verlorenen Generation, auf den Punkt bringend: „Niemand weiß, was ihre letzten Gedanken gewesen waren. Sie wollten sich nicht beiseite stehlen, auch wo nichts mehr zu gewinnen war, und vielleicht eben deshalb. Sie waren getäuscht worden, aber sie wollten selber nicht wieder täuschen. So sahen sie es wohl an, wenn sie selber sich Rechenschaft gaben; mancher braucht auch nicht zu denken; er kann nicht anders als er tut. Ob es andere anders ansahen und anders sehen werden, das wendet nichts daran. Aber es soll nicht wiederkommen.“10
Der Literaturkritiker Hans Egon Holthusen schrieb damals über das Buch: „Gerd Gaisers Prosaepos über den Untergang eines deutschen Jagdfliegerkorps steht auf einsamer Höhe, es ist gewiß das beste Kriegsbuch in Romanform überhaupt.“11 Es erreiche „die Stufe der Meisterschaft“. Dem ist wenig hinzuzufügen! Überlassen wir Holthusen das Schlusswort: „Ein Buch (…) voll suggestiver Schweigsamkeit für die Ungeheuerlichkeit der moralischen Situation des deutschen Soldaten, die mit dem Verstande kaum zu durchdringen war.“12
„Die sterbende Jagd“ ist, wie gesagt, nur noch antiquarisch zu bekommen, findet sich aber im Netz schon für ein paar Euro als gebundene oder als Taschenbuchausgabe, ebenso bestimmt auf den Krabbeltischen oder in den Wühlkisten der Antiquariate eures Vertrauens.

gai m262

Eine 1945 auf dem Militärflugplatz Dübendorf/Schweiz gelandete Messerschmidt Me 262.


 


[1] Daten nach: Gerd Gaiser, „Das Schiff im Berg“, Schnellroda 2022, Nachwort von G. Kubitschek, S.222f.
[2] Zit. nach: Bernhard Karl Vögtlin, „Gerd Gaiser. Ein Dichter in seiner Zeit“, Marburg 2004, S.179
[3] Gerd Gaiser, „Die sterbende Jagd“, Frankfurt 1957, S.7
[4] ebenda S.156
[5] Thosten Hinz, „Sein Werk dient nicht der Wahrheit!“, in: Junge Freiheit 36/2010
[6] Gerd Gaiser, „Die sterbende Jagd“, Frankfurt 1957, S.196
[7] Thosten Hinz, „Sein Werk dient nicht der Wahrheit!“, in: Junge Freiheit 36/2010
[8] Gerd Gaiser, „Die sterbende Jagd“, Frankfurt 1957, S.166f.
[9] ebenda S.167
[10] Gerd Gaiser, „Die sterbende Jagd“, Frankfurt 1957, S.167
[11] Zit. nach: Gerd Gaiser, „Die sterbende Jagd“, Frankfurt 1957, Klappentext
[12] ebenda

 

Bericht: Frank Veser
Bildquellen:
Bild 1: Gerd Gaiser mit seinem Roman „Schlußball“ in Amsterdam, 1960 (Quelle: http://proxy.handle.net/10648/a9a8b13a-d0b4-102d-bcf8-003048976d84)
Bild 2: Gerd Gaiser, „Die sterbende Jagd“, Fischer Bücherei, Frankfurt 1957 (eigen)
Bild 3: Messerschmidt Bf109 G-6, 1944 (Bundesarchiv_Bild_101I-662-6659-37,_Flugzeug_Messerschmitt_Me_109.jpg)
Bild 4: Messerschmidt Me262, 1945, auf dem Militärflugplatz Dübendorf, Schweiz (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_141-2497,_Flugzeug_Me_262A_auf_Flugplatz.jpg#/media/Datei:Bundesarchiv_Bild_141-2497,_Flugzeug_Me_262A_auf_Flugplatz.jpg)

 

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